Die Alkoholikerin – von Lisa Mariposa

Datum:
Von:
Lisa
Erfahrungsbericht
Hallo …! André hat mein Buch „Die Alkoholikerin“ zu den Buchtipps gestellt – das finde ich wunderbar – und mich gefragt, ob ich etwas zur Erläuterung dazu schreiben möchte. Ich bin Alkoholikerin – seit fast 14 Jahren trocken. Mein gesamtes Leben wurde und wird vom Alkohol begleitet. Davon handelt mein Buch die Alkoholikerin. Damit Ihr eine ungefähre Vorstellung von meinen Erlebnissen und auch von meiner Schreiberei bekommt, möchte ich Euch ein Kapitel vorstellen, das einen herausragenden Stellenwert in diesem Buch einnimmt. Am auffälligsten ist das Widersinnige der Situationen, die ich da beschreibe: Leila (die Hauptperson, also ich) hat sich auf dem Höhepunkt ihrer Säuferkarriere angewöhnt, nicht mehr zur Entgiftung in ein normales Krankenhaus zu gehen, weil sie dort zwar genügend Distraneurin bekam, aber ansonsten wie ein Mensch 2. Klasse behandelt wurde. Sie lässt sich inzwischen in ein psychiatrisches Krankenhaus einweisen. Dort entgiftet sie auf einer geschlossenen Suchtstation, hat es mit Fachkräften, netten Pflegern und, vor allem mit ihresgleichen zu tun. Sie lernt wieder reden, denn da sind Leute, die ihr zuhören. Der Witz an der Sache ist, dass Leila – immer mit einem Bein wegen Bluthochdruck infolge des Entzugs auf irgendeiner Intensivstation – eine Frau kennenlernt, die noch ein wenig tiefer gerutscht ist als sie selber. Und was macht Leila? Sie will dieser Frau helfen, trocken zu werden und zu bleiben! Interessant an dem Kapitel, das hoffentlich jedem Entgiftungskandidaten die Angst vor der „Klappsmühle“ nimmt, ist auch das Anheimelnde und Verlockende an dem Leben auf so einer Station – fernab von jeder Realität zuhause, gut versorgt und manchmal auch ernstgenommen und verstanden. Leila lernt die trügerische Anziehungskraft der fast schon therapeutischen „Käseglocke“ kennen und begreift, warum es so viele „Drehtürpatienten“ gibt.

Die Alkoholikerin: Das Kapitel

7. Beate Bei ihrem ersten Aufenthalt in der Psychiatrie hatte Leila schon viel von ihr gehört: Der ungekrönten Herrscherin über die Suchtstation – Beate. Beate residierte normalerweise im ersten Zweibettzimmer hinter dem offenen Aufenthaltsraum, der von der Eingangstür aus zuallererst durchquert werden musste, wollte man rechts in den Raucher- und Fernsehraum und die Küche sowie in den Speisesaal oder links zu den Patientenzimmern und in das Stationszimmer. Dieses Zimmer lag nicht nur zentral – sozusagen an der Quelle zu allem Neuen, was sich draußen regte. Schräg gegenüber befand sich auch das einzige Badezimmer mit Wanne und Dusche, welches sowohl von den Frauen als auch von den Herren benutzt werden musste. Es gab keinen Schlüssel für die Patienten – für eine Akutstation logisch. So musste man sich früh morgens anstellen und schauen, was das Schild an der Türklinke anzeigte: „Besetzt“ oder „Frei“. Bei „Frei“ war es dennoch angebracht, vorsichtshalber zu rufen. War Beate „zuhause“, dann konnte man immer damit rechen, dass sie gerade ein Bad nahm – ob mit oder ohne das Schild. Tagsüber, wenn sie gerade nicht rauchte oder wenn sie von der Arbeitstherapie „befreit“ war (wegen einer ihrer unzähligen Rückfälle), hielt sie in dem offenen Aufenthaltsraum Hof – oft in Begleitung eines weiteren weiblichen Dauerpatienten – Sabine. Lediglich Sabine durfte übrigens bei Beate „einziehen“, wenn sie mal wieder so weit war. Ansonsten hatte Beate das Doppelzimmer für sich allein. Entsprechend war sie auch eingerichtet, so erzählte man: Mit Tagesdecke, Stereoanlage, eigenem Fernseher und unzähligen Büchern. Während Leilas erstem Aufenthalt machte sie gerade ihren so-und-so-vielten „Freiversuch“ auf dem Psychiatriegelände, d.h. sie wohnte in einer offenen betreuten Wohngemeinschaft und hatte regelmäßig Arbeitstherapie. Leila wurde beglückwünscht, dass sie dieser Beate nicht begegnet war. Sie, Leila, wäre nie und nimmer von dieser „Königin der Sucht“ akzeptiert worden. Beate habe einen Hass auf alles „studierte“ und lasse dies die Ärmsten auch deutlich spüren. Und wurde man von Beate nicht gemocht oder wenigstens geduldet, dann hatte man auf dieser Station schlechte Karten – bei jedem. Da aber allgemein bekannt war, dass Beate ihre Ausflüge in die „Vorfreiheit“ nie sonderlich lange genoss, musste Leila mit jedem Tag ihres Aufenthaltes mit der Ankunft einer rückfälligen, um sich schlagenden und nur von drei Pflegern zu bändigenden Furie rechnen, die nach ein paar Tagen Entzug auf ihrem Zimmer Leila aufs Korn nehmen würde. Dazu kam es aber erst etwa ein halbes Jahr später, als Leila im Spätherbst ein zweites Mal auf dieser Station „einflog“ – so betrunken, dass sie Beate und ihr Anhängsel Sabine im Aufenthaltsraum gar nicht bemerkte. Als sich Leila von ihrem härtesten Entzug ihres Lebens (jeder folgende war natürlich umso härter) einigermaßen erholt hatte und zum ersten Mal Richtung Raucherraum schlich, wurde sie von einer kleinen, dunkelhaarigen Frau mit blitzenden scharfsinnigen Augen in einem merkwürdig eingefallenen, grauen Gesicht aus der Ferne mit schallendem Gelächter empfangen. Völlig irritiert von dem Missverhältnis zwischen der zierlichen, in ihren zerschlissenen Jeans und Pullover so jugendlich wirkenden Frau und dem riesig aufgerissenen zahnlosen Mund blieb Leila wie angewurzelt stehen. „Du bist das also, diese Diploooom- Sozioloooogin, hahaaaaaaa“. Beate verschluckte sich vor Lachen und bekam einen heftigen Hustanfall. Sabine, die mit ihrem „Dutt“ – grauhaarig, wie sie als vorgealterte chronische Alkoholikerin war – wie Beates Mutter wirkte, schaute schmollend unter sich. Leila zuckte nur müde und nikotin-besessen mit den Schultern und schlich unsicher weiter Richtung Raucherraum – dicht gefolgt von Beate, die sich von ihrem Anfall erholt hatte. So saßen sie denn gemeinsam an einem Tisch und drehten ihre Zigaretten: Drei Frauen im Alter zwischen 30 und 40, eine heruntergekommener als die andere, inmitten der über 30 ansonsten ausschließlich männlichen Patienten. Die Station war brechend voll wie immer, wenn es draußen langsam kalt und ungemütlich wurde. Beate beobachtete interessiert die Geschicklichkeit, mit der Leila trotz immer noch heftigem Entzug ihre Zigarette drehte, sie hastig anzündete und mit tiefen Zügen und geschlossenen Augen rauchte. „Ich habe schon gehört, dass du auch auf dem Zimmer rauchst – du hast ja keine Nachbarin, aber immerhin schläfst du im Aquarium!“ (Das Aquarium war der Beobachtungsraum für besonders entzügige Patienten. Er hatte ein riesiges Fenster zum Stationszimmer, von dem aus er obendrein erleuchtet werden konnte, wenn der Patient nachts unruhig wurde. Eigentlich für drei Leute gedacht, war er gerade ausschließlich für Leila reserviert, da sie außer den beiden „Bewohnerinnen“ momentan wieder einmal die einzige Frau war. Gegenüber gab es für die Männer natürlich auch ein solches „Aquarium“.) Leila war viel zu erschöpft, um antworten zu können. Außerdem war ihr heute diese „Königin“ ziemlich egal. Diese ließ aber nicht locker: „Sag mal, wenn du doch so studiert bist, kannst du vielleicht Schach spielen?“ Leila nickte müde und ging dann wieder langsam in ihr Bett. Gleich nach dem Abendbrot, das sie dummerweise im Speisesaal eingenommen hatte, um nur baldmöglichst aus dem „Aquarium“ entlassen zu werden, war sie reif: Sie musste Schach spielen! Beate feixte: „Mal sehen, was von deinen grauen Zellen so übrig ist …“ Natürlich gewann Beate an diesem Abend jede Runde haushoch und freute sich … königlich! Aber dann kam doch eine Bemerkung von ihr zu Leila rüber, die diese aufhorchen ließ: „Weißt du, nach jedem Rückfall geht es mir schlechter. Mein Körper spielt nicht mehr lange mit. Ich vertrage auch gar nichts mehr. Eine halbe Flasche Korn und schon bin ich weg! Hahaaaaaaa! … Aber meine grauen Zellen machen mir Sorgen. Deshalb brauche ich ab und zu jemand wie dich, um sie ein wenig zu trainieren. Jetzt bin ich schon wieder ein paar Wochen hier und das ist auch der Grund, warum ich heute gegen dich gewonnen habe … Ach, was geht dich das an. Ich bin müde …“ Mit weit aufgerissenem leeren Mund gähnte sie ausgiebig und ging dann einfach weg. Beate hatte die paar Sätze ganz leise gesprochen und sich dabei weit über den Tisch zu Leila rübergebeugt. Was sie sagte, war ihr peinlich. In ihren scharfsinnigen Augen lag eine tiefe Trauer, in der Leila für einen Augenblick ein nicht eben langes, aber auch ein nicht sehr erfreuliches Leben an sich vorüberziehen sah. Betroffen sah sie sich um – sie saß doch im großen Aufenthaltsraum, der aufgrund des herrschenden Rauchverbots immer leer war! Weit und breit kein Zuhörer … Lediglich Beate hatte ihren eigenen „ambulanten“ Aschenbecher und rauchte, wo es ihr passte. Kein Pfleger hätte sie je daran gehindert. Dennoch hatte Beate offensichtlich Angst gehabt, jemand könne ein persönliches, ernstes Wort aus ihrem Mund vernehmen!
Buch, Die Alkoholikerin
Sobald es Leila besser ging, wurden die allabendlichen Spiele mit Beate härter. Immer öfter kam es vor, dass sich Patienten und auch Pfleger zu den beiden Frauen gesellten, um zu sehen, wer diesmal gewinnen würde. Ab und zu schaffte es Leila. Aber auch dann hatte Beate ihren Spaß und lachte auf ihre unverwechselbare Art schallend, indem sie sich mit weit aufgerissenem Mund nach hinten zurücklehnte und mitsamt ihrem Stuhl immer umzukippen drohte. Hin und wieder gelang es Leila, in den Spielpausen ein paar Worte mit Beate zu wechseln. Sie erfuhr wenig. Aber was sie hörte, erschütterte sie zutiefst: Diese gerade mal Anfang 40 Jahre junge Frau hatte komplett mit ihrem Leben abgeschlossen. „Draußen“ sah sie für sich keinerlei Perspektive mehr. Auch Beate hatte studiert – Sozialwissenschaften. Sie hatte in einer Beziehung gelebt. Sie hatte richtiges Geld verdient und eine große Ursprungsfamilie gehabt, in der sie eingebettet gewesen war. Aber alles wurde von ihr verhöhnt: „Ach, hör mir auf mit so einem Quatsch!“ Einmal nahm Leila ihren gesamten Mut zusammen und schilderte Beate einen von ihr vorher bis ins Detail ausgeklügelten Weg raus aus der Psychiatrie, aus der Abhängigkeit, hinein in ein menschenwürdiges Leben zurück in einer Gesellschaft, mit der sie selbst ja auch ihre Probleme hatte. (Beate war jahrelang politisch aktiv gewesen!) Beate hörte diesmal andächtig und still zu, als Leila ihr von Umschulung und Fortbildung, von finanziellen Unterstützungen und Wohngemeinschaften mit Gleichgesinnten (anstatt Gleich-Betroffenen) und vor allem von einem selbstbestimmten Leben erzählte. Als Leila fertig war, schwieg sie eine ganze Weile und sah Leila durchdringend und fast liebevoll, aber leider auch ein wenig mitleidig an. Und dann kam er: Der Lachanfall. Als sie sich beruhigt hatte, stand sie auf und sagte leise im Gehen: „Nicht mehr für mich. Draußen komme ich nicht mehr klar. Versteh‘ das doch! Hier habe ich jede Freiheit, die ich brauche …“ Zum Abschied dieses zweiten Besuchs von Leila auf der Station bekam sie von Beate dann noch die Packung: „Tschüß! Bis zum nächsten Mal!“ Leila war entrüstet: „Es gibt kein nächstes Mal!“ Sie hörte noch lange das schallende Gelächter dieser Frau, als sie sich die schwere Panzerglastür aufschließen ließ, die Treppen hinunterrannte und draußen auf dem Gehsteig auf das Auto wartete, das sie abholen sollte … Ein paar Wochen später wurde sie ja dann auch wieder von Beate begrüßt, diesmal aber ohne Gehässigkeit und Hohn: „Siehst du, Kleine, so einfach ist das alles gar nicht da draußen! Ich habe schon auf dich gewartet. Ein paar Bekannte wirst du auch wiedersehen. Die haben schon Wetten über dich abgeschlossen. Jetzt geh‘ dich erst mal erholen, in ein paar Tagen spielen wir wieder, o.k.?“ Dieses Mal erlebte Leila diese faszinierende Frau gleich mehrfach anders: Als sie nach den üblichen ersten Entzugstagen nach dem Frühstück im Raucherraum saß und sich schon insgeheim fragte, ob denn Beate am Ankunftstag wirklich da gewesen war, hatte sie eine Erscheinung: Auf trat eine eher junge, schmale, dunkelhaarige Frau in ordentlichen Jeans und hübschen Pullover; die dunklen Locken waren in Form gebracht und umrahmten ein markantes und sehr apartes Gesicht, aus dem große, leicht durch Wimperntusche betonte, dunkle Augen von oben auf die Anwesenden herab blickten. Dann lächelte dieses Gesicht mild mit weißen, ebenmäßigen Zähnen! Beate! Sie war ein paar Wochen brav gewesen und durfte nun zunächst von der Suchtstation aus täglich den ganzen Tag über aufs Gelände – zur Arbeitstherapie! Und deshalb hatte sie sich gekämmt, ein wenig geschminkt und tatsächlich ihre Zähne in den Mund genommen! Leila fielen fast die Augen aus dem Kopf – sie saß wie erstarrt auf ihrem Stuhl und hörte kaum, wie Beate sich für den Tag von ihren Mitpatienten verabschiedete: „Tschööö, bis heut Abend!“ Und weg war sie. Am Abend kam sie dann schlechtgelaunt zurück, verschwand in ihrem Domizil und hörte ziemlich laute Musik – „Pink Floyd“. Leila wäre am liebsten zu ihr gegangen, um mitzuhören, traute sich aber nicht. Beate musste nun erst einmal in Ruhe gelassen werden. Zum Abendessen erschien sie wieder abgerissen und zahnlos wie immer. Es wurde wieder Schach gespielt, aber Beate war nicht so ganz bei der Sache und schien gereizt auf Leila zu reagieren. Schließlich hatte Leila ihre Verwandlung zum ersten Mal erlebt und würde mit einer Bemerkung nicht lange auf sich warten lassen. Und natürlich konnte sich Leila eine Frage nicht verkneifen: „Sag‘ mal, warum tust du deine Zähne immer raus? Mit siehst du einfach viel besser aus!“ Beate schaute kurz vom Spiel auf und sah Leila verschmitzt an: „Auf diese blöde Frage habe ich gewartet. Weißt du eigentlich, wie scheißegal mir mein Aussehen ist? Hahaaaaaaa!“ Es folgte der übliche Verschlucker – gefolgt von dem üblichen Hustenanfall. Als sie sich wieder beruhigt hatte knurrte sie nur: „Lass‘ mich mit so einem Quatsch in Ruhe, klar? Du verlierst schon wieder, hahaaaaaa!“ An diesem Abend verabschiedete sich Beate recht früh und ging ein ausgiebiges Bad nehmen – sie war überhaupt die einzige, die so spät noch in das Badezimmer gehen durfte. Und sie blieb wirklich sehr, sehr lange, so lange, dass Leila sie an dem Abend nicht mehr zu Gesicht bekam. Diesen Rhythmus behielt sie so bei. Überhaupt war sie schweigsamer als sonst und wirkte beim Schach spielen zerstreut und unruhig. Leila ahnte nichts Gutes. Es dauerte auch nicht lange und Beate hatte ihren nächsten Auftritt – auch hier hatten die „Stammpatienten“ bereits Wetten abgeschlossen. Es war an einem Nachmittag, als die Patienten durch lautes Geschrei und Getöse aufgescheucht wurden. Drei Pfleger – die zwei von der Suchtstation hatten sich von „unten“, also von der Psychosestation, Verstärkung geholt – schleppten ein sich vehement wehrendes, schreiendes Bündel Mensch in den Aufenthaltsraum und dann ab ins „Aquarium“ – Beate war wieder einmal rückfällig geworden. Sie hatte sich abgemacht und im Ort eine Flasche Korn gekauft. Irgendwo draußen im Feld hatte sie dann soviel getrunken, wie sie schaffte, bis man sie holen kam. Der Ladenbesitzer, der die Insassen der Anstalt kannte oder auch sofort als solche erkannte, hatte die Station aber erst alarmiert, nachdem er Beate das teure Geld für den Schnaps abgenommen hatte. Beate wurde einige Tage nicht gesehen – ihre Entzüge waren schlimmer als Leilas, weil sie einfach keine Abwehrkräfte mehr hatte. Und dann schlurfte sie wieder wie gehabt ohne ihre Zähne durch die Gegend – irgendwie besänftigt und mit sich und der Welt zufrieden. Selbstverständlich verlor sie gegen Leila jedes Schachspiel – das änderte sich auch nicht mehr bis zu Leilas Entlassung. Leila war bedrückt, geradezu traurig. Der Abschied gestaltete sich kurz und ohne Frotzeleien. Am liebsten hätte sie Beate einfach mit zu sich nach Hause genommen. Am Vorabend hatte sie nur zu Beate gesagt: „Weißt du, du bist eine einzige Verschwendung …“ Beate hatte diesmal nicht gelacht. Man war schweigend auf die Zimmer gegangen. Von zuhause aus rief Leila ziemlich oft an, aber meistens war Beate nicht zu sprechen. Zu Weihnachten schickte sie Beate ein paar Kleinigkeiten, die diese sich gewünscht hatte und machte ein richtiges Weihnachtspaket daraus. Sie ahnte oder hoffte fast, dass sie möglicherweise nicht allzu lange von Beate getrennt sein würde. Im neuen Jahr war es ja dann auch wieder soweit: Leila flog in ihrem „zweiten Zuhause“ ein. Aber diesmal war Beate nicht da! Man hatte sie versuchsweise auf eine offene Station verlegt. Durch Sabine, die das Zimmer jetzt für sich hatte, ließ sie Leila schöne Grüße ausrichten: Es gefiel ihr nicht auf der anderen Station. Sie werde wohl bald wieder „nach Hause“ kommen. Leila aber sah Beate nie wieder. Sobald sie Ausgang hatte, suchte sie Beate auf der anderen Station, verfehlte sie aber. Wieder entlassen, hörte sie anlässlich einiger Telefongespräche mit Zurückgebliebenen, dass Beate wieder „eingezogen“ war. Aber der Kontakt war abgebrochen. Auch während der letzten Aufenthalte Leilas auf der Suchtstation war Beate immer woanders. Leila hörte immer nur, dass sie das Gelände selbstverständlich nie verlassen hatte … Die Akut- und Suchtstation einer psychiatrischen Anstalt hatte längst ihren Schrecken verloren. Im Gegenteil: Leila konnte die Leute sehr gut verstehen, die in Ermangelung jeglicher sozialer Eingebundenheit immer wieder in die Geborgenheit eines solchen „Nestes“ zurückkehrten. Beate hatte Leila gleichermaßen abgestoßen und angezogen. Leila war sich genau bewusst, wie nah sie an deren realitätsverneinenden Haltung war. Damals, Ende 1992, Anfang 1993, war Leila fast so weit, sich vollständig und für immer aufzugeben. Nur hätte sie in der Konsequenz den Suizid gewählt und somit dieses Scheindasein nach dem Vorbild Beates ein wenig verkürzt. Sie dachte oft und lange über diese Frau, die sie eine einzige „Verschwendung“ geschimpft hatte, nach, kam aber nie zu einer Lösung. Denn Beate hatte sich entschieden. Sie wollte nicht mehr in die Realität zurückkehren. Beate war und blieb für Leila der Inbegriff der Selbstverneinung. Und ohne ihren eigenen Willen konnte keine Macht der Welt ihr helfen, denn jede „Hilfe“ hätte sich selbst durch Beates Entscheidung ad absurdum geführt. Diese Erkenntnis war grauenhaft und trotzdem unglaublich wichtig für Leilas Entschluss, es immer wieder aufs Neue mit dem Leben aufzunehmen – und zwar immer mit dem Ziel im Hinterkopf: „Ich will einmal als Suchttherapeutin arbeiten.“ Beate hatte ihr die Grenzen der Suchtkrankenhilfe drastisch vor Augen geführt: „Hilfe ist nur möglich, wenn sie gewünscht wird.“ Vielleicht hat der eine oder andere Lust, das ganze Buch Die Alkoholikerin zu lesen … Für Fragen meine E-mail-Adresse: lisa.mariposa@freenet.de

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