Mein Name ist Klaus. Ich bin alkohol-, medikamenten- und drogenabhängig. Als ich 1986 nach ca. 18-jähriger Suchtkarriere zur Therapie in die Fachklinik Bad Tönisstein ging, hätte ich nicht gedacht, dass ich so etwas einmal mit ruhigem Gefühl sagen könnte. Viel zu sehr schämte ich mich für das, was mit mir geschehen war, viel zu sehr schämte ich mich abhängig zu sein. Ich hatte das Gefühl, jeder würde mir ansehen, was mit mir los sei, und der Begriff Alkoholiker (als den ich mich heute bezeichne) wäre mir nie ohne ein Gefühl von Scham über die Lippen gegangen.
Natürlich war mir schon lange klar, dass etwas mit der Art und Weise wie ich Alkohol, Medikamente und Drogen konsumierte, nicht stimmte. Doch obwohl ich schon vieles verloren hatte (ich lebte einige Jahre auf der Straße, meine erste Ehe war gescheitert, Freunde hatte ich keine mehr, meine Eltern wollten keinen Kontakt mehr zu mir und vieles mehr) konnte ich mir nicht eingestehen, dass ich abhängig war. Ich hatte Angst davor, mein Leben ohne Suchtmittel leben zu müssen, und konnte mir nicht vorstellen, wie ich dies bewerkstelligen sollte.
Als ich dann den ersten Schritt der Anonymen Alkoholiker las: „Wir geben zu, dass wir dem Alkohol gegenüber machtlos sind und unser Leben nicht mehr meistern konnten“. wurde mir klar, dem Alkohol (den Suchtmitteln) gegenüber machtlos zu sein. Das stimmte auch für mich. Aber der zweite Teil des ersten Schrittes machte mir arge Probleme. Wieso konnte ich mein Leben denn nicht meistern? War ich nicht freiwillig hier in der Klinik, und wollte ich nicht mein Leben verändern, es wieder in den Griff bekommen? Lange habe ich mit dem zweiten Teil des ersten Schrittes gehadert.
Heute weiß ich, natürlich habe ich mit Alkohol mein Leben nicht meistern können, hatte die Kontrolle über mein Leben, mein Tun und Handeln verloren und brauchte Hilfe. Diese bekam ich hier in dieser Klinik. Meine Therapeuten gaben mir die Möglichkeit, mir das erste Mal in meinem Leben offen und ehrlich ins Gesicht zu schauen. Sie halfen mir dabei, meine Angst, mich so zu sehen wie ich wirklich war, zu überwinden, nahmen mich so an wie ich war, zeigten mir, dass ich trotz meiner Fehler und Schwächen liebenswert bin und halfen mir dabei, mich selbst etwas mehr zu lieben als ich es tat.
Ich verbrachte zehn Wochen in dieser Klinik und bekam in dieser Zeit das Handwerkszeug, welches mir später helfen sollte, einen Weg zur zufriedenen Abstinenz zu finden.
Als ich nach zehn Wochen die Klinik verließ, fühlte ich mich unsicher wie ein kleines neugeborenes Kind. Alles war mir neu. All die Dinge des normalen Lebens sollte ich auf einmal nüchtern und ohne Drogen bewältigen. Ich erlebte mich klein und elend. Doch was hatte ich in der Klinik gelernt: Der Besuch einer Selbsthilfegruppe, das Reden mit anderen Betroffenen sollte helfen, mit diesen Gefühlen besser klar zu kommen. Und ich wollte doch etwas an mir und meinem Leben verändern.
Ich suchte mir also eine Selbsthilfegruppe und landete nach einigen Anläufen bei einer Gruppe des „Deutschen Guttempler Ordens“.
Diese besuchte ich einige Jahre und begann, Verantwortung für mich und meine Gruppe zu übernehmen. Ich machte Erfahrungen, welche mich darin bestärkten, dass der neue Weg – der Weg der Abstinenz – der richtige Weg für mich ist, und verlor durch den regelmäßigen Besuch der Gruppe Teile meiner Menschenscheu.
Nach ca. sieben Jahren Mitgliedschaft im Guttempler Orden machte ich mich mit meiner Gemeinschaft „LichtBlick“ selbstständig. Wir traten aus dem Guttempler Orden aus und arbeiten heute als e.V. selbständig und ohne Dachverband in der ehrenamtlichen Suchtkrankenhilfe.
Ich weiß heute für mich, dass mich der Besuch einer Selbsthilfegruppe mein Leben lang begleiten wird. In der Regel freue ich mich auf die Gruppenstunden, auf das Zusammensein mit den Freunden/innen. Ich habe das Gefühl, dass ich zum ersten Mal im Leben echte Freunde gefunden habe. Ich bin bereit, von meinen Freunden und den Gruppenmitgliedern zu lernen, und bin froh darüber, dass ich nicht mehr alle Erfahrungen des Lebens selbst machen muss.
Ich habe mittlerweile wieder eine eigene Familie aufgebaut, habe einen Stiefsohn und eine eigene Tochter, und bin froh, ihnen auf Grund meiner Abstinenz ein guter Vater zu sein. Der Grund, warum ich diese Zeilen schreibe ist der, dass ich jeden, der mit einer Abhängigkeitserkrankung zu kämpfen hat, ermutigen möchte, selbst zu versuchen, ob er nicht seinen Weg aus der Abhängigkeit gehen kann.
Ich denke, dass jeder die Chance und die Kraft hat, sein Leben zu verändern. Ich habe erfahren, wie positiv sich eine solche Veränderung auf das Leben auswirken kann und möchte ermutigen, den Kopf nicht hängen zu lassen.
Es ist keine Schande krank zu sein, es ist nur eine Schande nichts dagegen zu tun!
Der Besuch einer Selbsthilfegruppe ist hierbei sehr hilfreich, und ich möchte einladen, sich einer solchen anzuschließen.
Immer schön trocken bleiben (trocken werden)!!!!
Euer Klaus
(Mehrfachabhängiger) – „Lichtblick e.V.“, Bielefeld